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Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern*innen, eine Bestandsaufnahme

Eine Bestandsaufnahme 3 Jahre später

Als 2019 in der Europäischen Union die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden (1), in Kraft trat, war dies ein grosser Schritt für alle, die sich für den Schutz von Whistleblowern*innen interessieren. Es sei daran erinnert, dass diese allzu oft Repressalien ausgesetzt sind, nachdem sie den Mut aufgebracht haben, eine festgestellte Unregelmässigkeit zu melden.

 

In der Vergangenheit war der Schutz von Whistleblowern*innen in der EU zersplittert und uneinheitlich, da es in mehreren Staaten so gut wie keine Regelungen in diesem Bereich gab. Dies war nicht nur für Personen, die eine Meldung machten, ein Problem, sondern insbesondere bei grenzüberschreitenden Verstössen.

Nicht ganz klar: Schutz von oder vor Whistleblowern?

Schutz von Whistleblowern - eine von der EU anerkannte Herausforderung

Die Notwendigkeit, den Schutz von Whistleblowern*innen gesetzlich zu regeln, wurde durch eine Reihe von Fällen ausgelöst, die in der gesamten EU grosse Aufmerksamkeit erregten und zu der so genannten Richtlinie von 2019 führten, die das Thema dieses Artikels ist. Zu diesen Fällen können LuxLeaks (2), Cambridge Analytica (3), die Panama Papers (4) und auch Barclays (5) gezählt werden, ganz unabhängig von den nationalen Fällen, die weit weniger medienwirksam waren. Das Thema Whistleblowing und der Schutz von Whistleblower*innen konnte nicht länger vernachlässigt werden und die Europäische Kommission (EK) befasste sich daher mit diesem Thema.

 

Obwohl der Schutz dieser Personen zu einer von der EU anerkannten Notwendigkeit geworden war, war es ein langer Weg bis zur Richtlinie. Im April 2018 legte die EK schliesslich einen entsprechenden Entwurf vor und ein Jahr später, im Dezember 2019, trat die Richtlinie schliesslich in Kraft. Wie bei Richtlinien, die von der EU verabschiedet werden, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen (in diesem Fall bis Dezember 2021). Sie können dies durch die Verabschiedung eines neuen Gesetzes tun, das den Mindeststandard der Richtlinie übernimmt oder sogar über die Anforderungen der Richtlinie hinausgeht.

Worum geht es in der Richtlinie genau?

Die Unregelmässigkeiten, auf die die Richtlinie abzielt, sind in Art. 2 erschöpfend aufgelistet und umfassen Verstösse, die folgende Bereiche betreffen: öffentliches Auftragswesen; Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung; Produktsicherheit und -konformität; Verkehrssicherheit; Umweltschutz, usw.

 

Die EU-Richtlinie hat einen breiten territorialen Anwendungsbereich und ist daher nicht auf das Gebiet der EU beschränkt. Das bedeutet, dass selbst in der Schweiz – einem Nicht-EU-Land, das nicht verpflichtet ist, die Standards der Richtlinie in sein Gesetz aufzunehmen – Unternehmen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, Massnahmen ergreifen müssen, um die Anforderungen der Richtlinie zu erfüllen.

 

Was die Anforderungen betrifft, so hat die EU-Richtlinie bestimmte Verpflichtungen für alle öffentlichen und privaten Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmer*innen oder einem Jahresumsatz oder Gesamtvermögen von mehr als 10 Millionen Euro eingeführt. Unabhängig davon, wo sich die Arbeitnehmer befinden, ob innerhalb oder ausserhalb der EU (z. B. in der Schweiz), gilt die Richtlinie :

 

  • ab dem 17. September 2021 für jede in der EU juristische Person mit mehr als 250 Arbeitnehmer*innen und lokalen Behörden, die Dienstleistungen für mehr als 10’000 Personen erbringen
  • ab dem 17. Dezember 2023 für jede in der EU juristische Person mit mehr als 50 Arbeitnehmer*innen.

 

Alle, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, müssen interne und externe Meldesysteme einrichten, d.h. interne und externe Mechanismen zur Meldung von Unregelmässigkeiten vorsehen; Vergeltungsmassnahmen verhindern, denen Whistleblower*innen nach einer Meldung zum Opfer fallen können; Massnahmen zur Unterstützung von Whistleblower*innen ergreifen, um sie zu schützen. Die Richtlinie geht sogar noch weiter, indem sie Sanktionen vorsieht, wenn das Unternehmen für Vergeltungsmassnahmen gegen Hinweisgeber*innen haftbar gemacht wird.(6)

Wie sieht es heute (Januar 2023) mit der Umsetzung aus?

Dänemark war der erste Staat, der die Richtlinie im Juni 2021 umgesetzt (7) hat, und zwar mehrere Monate vor dem Ende der Umsetzungsfrist (Dezember 2021).

 

Wie unten auf der ersten Abbildung aus dem April 2022 zu sehen ist, als die Umsetzungsfrist bereits im Dezember 2021 abgelaufen war, hatten nur 8 der 27 Mitgliedstaaten (im Bild rot markiert) die Richtlinie bereits umgesetzt.

Was die Situation im Dezember 2022 betrifft, so lässt sie sich recht kurz zusammenfassen. Es gibt noch etwa vierzehn Mitgliedstaaten, die mit der Umsetzung der EU-Richtlinie im Rückstand (8) sind, diese haben auch Mahnungen von der EK erhalten. Am 6. Dezember 2022 hat sich die Situation kurz wie folgt entwickelt (siehe Bild rechts).

 

Bevor das Jahr 2022 eingeläutet wurde, haben vor allem Deutschland (9) und Spanien (10)  sowie Finnland ihren Rückstand aufgeholt. Das neue finnische Gesetz (11)  trat übrigens am 1. Januar 2023 in Kraft.

Wie sieht es in der Schweiz aus?

Auf Schweizer Seite gibt es auf gesetzlicher Ebene leider nichts zu berichten, der Schutz von Hinweisgebern*innen scheint für den Schweizer Gesetzgeber keine Priorität zu haben. Einige hoffen, dass die Tatsache, dass alle Mitgliedstaaten nacheinander ein neues Gesetz verabschieden, um der EU-Richtlinie zu entsprechen, ein Anreiz für die Schweiz sein könnte, sich den neuen Standards in diesem Bereich anzupassen. Diesbezüglich gibt es keine Gewissheit.

 

Trotzdem bleibt es dabei, dass die Schweiz, die sich gerne Zeit lässt, nicht länger behaupten kann, dass ihr nationales Gesetz via Obligationenrecht – das weit hinter den Standards der EU-Richtlinie zurückbleibt – Hinweisgebern*innen ausreichend vor Vergeltungsmassnahmen schützt. Wenn alle EU-Länder sich dem anpassen, wird die Schweiz in Zukunft die Sache selbst in die Hand nehmen müssen und sich nicht länger ihrer Verantwortung gegenüber denjenigen entziehen, die aufstehen, um auf Unregelmässigkeiten hinzuweisen.

Unser Standpunkt

Campax bedauert diesen Umstand, denn es wäre bedauerlich anzunehmen, dass die Schweiz darauf warten wird, dass alle anderen Länder um sie herum handeln, bevor sie dem Whistleblowing einen Platz in ihrer Gesetzgebung einräumt. Für ein Land wie das unsere, das einen starken und transparenten Finanzplatz verteidigt, ist die Bedeutung des Kampfes gegen Korruption, Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen eine Realität, die von allen grossen Volkswirtschaften heutzutage anerkannt wird. Whistleblowing ist eines der Instrumente zur Bekämpfung dieser opferlosen Straftaten, und seine Bedeutung wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach durch zahlreiche Studien belegt.(12) 

[1] RICHTLINIE (EU) 2019/1937 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Status am 05.01.2023.
[2] Die Personen, die den Hinweis gegeben haben, wurden angeklagt gemäss dem Bericht von TV5.
[3]  Mehr Informationen im Artikel von Le Monde über Cambridge Analytica.
[4] Mehr Informationen im Artikel von Le Monde über die Panama Papers. 
[5] Mehr Informationen zur Barclays Bank im Artikel von L’Agefi.
[6] Mehr Informationen verfügbar here.  Status am  05.01.2023.
[7]  Am 24. Juni 2021 hat Dänemark sein neues Gesetz zum Schutz von Whistleblowern (Lov om beskyttelse af whistleblowere) verabschiedet.). Mehr Informationen im Bericht von mondaq.com.
[8]  Tool zur Überwachung der Umsetzung der EU-Richtlinie durch die Mitgliedsstaaten. Status am 05.01.2023.
[9]  Hinweisgeberschutzgesetz. Status am 05.01.2023.
[10]  Mehr Informationen verfügbar here.  Status am 05.01.2023.
[11] Finnish Whistleblower Protection Act. Status am 05.01.2023.
[12] Siehe u. a. die Studie der ACFE (Association of Certified Fraud Examiners) aus dem Jahr 2022  Status am 06.01.2023.