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Ein Schaf gegen Rechts

Nicht «Alles Nazis!»1: Die SVP grenzt sich nicht gegenüber Neonazis ab – macht gar gemeinsame Sache mit der Jungen Tat2 – und die FDP macht sich mit den Listenverbindungen zur Steigbügelhalterin der Rechstspopulisten.
Briefkastenkleber SVP Campax
Ein Briefkastenkleber mit Schaf drauf – genau so sah das Sujet aus, das in der Schweiz im Hochsommer diskutiert wurde. Stein des Anstosses war das Schwarze Shirt des Schafes mit einem «FCK NZS»-Logo drauf, welches die erste Version zierte. Doch eigentlich nahm diese Kampagne ihren Anfang bereits im Frühsommer, als die Listenverbindung in Zürich zwischen SVP und FDP bekannt wurde.

Eine Listenverbindung, die in erster Linie der SVP zu Gute kommt

Bei der öffentlichen Bekanntgabe der Listenverbindung entstanden einige Fragezeichen. Wie genau funktioniert sie? Wem nützt sie und wie viel? Warum machen das Parteien überhaupt? Die Antworten auf diese Fragen waren für viele in unserem Team nicht eindeutig. Mir war – ganz ehrlich – nicht klar, dass viele Menschen in der Schweiz nicht wissen, was Listenverbindungen sind, und noch viel mehr Menschen gar nichts von der Listenverbindung zwischen SVP und FDP wissen.
Es ist eine Listenverbindung, die in erster Linie der SVP zu Gute kommt. Denn vergangene Wahlen haben gezeigt, dass bei Listenverbindungen die grössere Partei rechnerisch beinahe immer profitiert.
Dass also die FDP mit der SVP in mehreren Kantonen paktiert, hat einen Beigeschmack. Denn über das ganze Jahr gab es einmal mehr eine Reihe von verbalen und schriftlichen Entgleisungen von SVP-Vertreter*innen, etwa Hetzkampagnen gegen Lehrer*innen oder Dragqueens. Zudem ist eine Annäherung von SVP-Exponent*innen und sogar ganzen Kantonalparteien an rechtsextreme Gruppierungen zu beobachten3. All dies geschah ohne eine nennenswerte Diskussion. Doch genau diese öffentliche Diskussion ist notwendig.
Umso mehr, wenn sich eine liberale Partei bei Rechtspopulisten anbiedert, die sich allzu oft nur halbherzig von Neonazis distanzieren oder solchen in die Hände spielen4.
Das hiess für uns: Wir wollen so vielen Personen wie möglich klar machen, dass vor allem die SVP von dieser Listenverbindung profitiert und sich so einen gemässigteren Anstrich gibt. Der Briefkastenkleber war geboren und wurde somit Mittel zum Zweck. Er war provokativ, das war uns allen klar – und trotzdem waren wir überrascht, welchen Verlauf die landesweite Diskussion genommen hat. Als ich am 20. Juli das ursprüngliche Motiv auf Twitter postete, passierte lange nichts. Erst am Mittag, als ich beim Coiffeur sass, begannen die ersten Mitglieder der Jungfreisinn auf Twitter zu antworten. Ich war überrascht, denn immerhin war für mich von Anfang an sonnenklar, welche Rolle der FDP auf diesem Kleber zukommt: als Steigbügelhalterin der Rechtspopulisten.

Fehlende Abgrenzung gegen Neonazis

Ich verstehe, dass unser Kleber kontrovers war, wir haben damit die Provokation gesucht. Trotzdem muss ich nochmals eindeutig festhalten: Mit dem Kleber wurde nie ein Nazivergleich gemacht, sondern einzig ein antifaschistisches Schaf abgebildet. Genau dieses Schaf muss sich in konsequenter antifaschistischer Tradition gegen die SVP und eben auch deren Allianzpartnerin die FDP stellen, denn erstere versäumt es laufend, sich nach rechtsaussen abzugrenzen.
Genauso wenig sollte dieser Kleber die Verbrechen des Dritten Reichs in irgendeiner Weise relativieren. Im Gegenteil, wir sehen uns in einer antifaschistischen Tradition und wollen auf die Gefahr von neofaschistischen Strömungen, wie etwa der AfD, der Fratelli d’Italia oder des Rassemblement National, und deren Normalisierung – auch in der Schweiz – aufmerksam machen. Der in Anlehnung an das Logo der Hip Hop-Kultband Run DMC gestaltete Schriftzug «FCK NZS» ist in der antifaschistischen Bewegung popkulturell verankert5 und richtet sich gegen Neonazis. Wir wollten nie die SVP und FDP mit Nazis gleichsetzen, sondern auf den Umstand aufmerksam machen, dass sich die SVP allzu oft nicht von Rechtsextremen abgrenzt und sogar im Kampagnen-Tandem mit Neonazis6 Freiheitsrechte angreift. Sollten wir Direktbetroffene und ihr Umfeld durch unseren Kleber verletzend haben, so tut uns das Leid. Genau aus diesem Grund und wegen dieser Missverständlichkeit haben wir das Motiv nach wenigen Stunden gewechselt.
Trotzdem ging die Debatte weiter und ganz unverhofft entwickelte sie sich zu einem medialen Streit zwischen FDP und Campax. Anscheinend schien es der FDP extrem unangenehm zu sein, dass öffentlich über ihre Listenverbindungen mit der SVP gesprochen wird. Doch dank dem Briefkastenkleber geriet genau diese Debatte voll in Fahrt: Über Tage wurde auf Twitter und in den Medien nicht nur über das Motiv, sondern auch über die Listenverbindung gesprochen. Dabei blieb ein Teil dieser Listenverbindung bis zum Schluss stumm: die SVP. Obwohl sich unser Angriff doch eben genau an sie, an ihre Hetzkampagnen gegen Minderheiten und ihre fehlende Abgrenzung zu rechtsextremen Kreisen richtete.

Rechtsrutsch stoppen!

Manchmal verstand ich die Welt nicht mehr. Man empört sich über ein Motiv und eine Provokation, aber wenn die SVP eine Listenverbindung mit Mass-Voll eingeht, dann ist das nicht einmal mehr eine Headline wert. Gleichzeitig las man aus unserem Kleber einen Nazivergleich heraus, doch dass Mass-Voll Chef Rimoldi praktisch zeitgleich in Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, einen Stopp auf seiner Rückreise von einer rechtsextremen Demonstration in Wien machte, wurde mit wenig tiefgang diskutiert. Rimoldi beteuerte, er habe von nichts gewusst, und damit war die Sache erledigt. Da frage ich mich schon, ob überall mit den gleichen Ellen gemessen wird.
Unser Kleber mag provokativ sein, und vielleicht haben sich einige gefragt, was Campax da gerade anstellt. Trotzdem haben wir unser Ziel erreicht. Es wurde intensiv über die Listenverbindung zwischen SVP und FDP diskutiert. Es wurde darüber gesprochen, wie die FDP damit der SVP einen moderaten Anstrich gibt, während diese sich durch fehlende Abgrenzung zur rechtsextremen Szene hervortut. Zugleich hat mir die Debatte auch gezeigt, wie normalisiert rechtsextremes Gedankengut und ihre Vertreter*innen in unserer Gesellschaft schon sind.
Es sind immer noch etwas mehr als zwei Monate bis zu den Wahlen und wir haben noch viel Arbeit vor uns. Denn wir müssen verhindern, dass die SVP und ihre Freund*innen am 22. Oktober als Sieger*innen aus den Wahlen gehen. Also los, die Arbeit hat erst begonnen. Geben wir alles, können wir zusammen den Rechtsrutsch stoppen.