Warum die WM diesen Sommer der beste Grund ist um Frauenfussball-Fan zu werden
Warum Frauenfussball nicht nur bessere Strukturen und höhere Löhne braucht, sondern auch mehr Fans; und warum die WM diesen Sommer der beste Grund ist, um Frauenfussball-Fan zu werden: Die Journalistin, Aktivistin und Designerin Laura Rivas Kaufmann begleitet uns in vier Blogbeiträgen durch die Fussball-WM der Frauen.
Am Freitagmorgen um 7:00 Uhr sitze ich mit 25 weiteren Personen im Gemeinschaftsraum einer Genossenschaft in Zürich und schaue das Spiel zwischen der Schweiz und den Philippinen. Die Leute sind schätzungsweise zwischen drei und achtzig Jahre alt, manche aufgeregt am Mitfiebern, andere noch im Halbschlaf, manche kennen sich, andere nicht. Doch wir alle kennen die Namen der Spielerinnen am Fernsehen: Thalmann, Stierli, Maritz, Reuteler, Crnogorcevic, Bachmann, Sow, Wälti, Bühler, Piubel, Aigbogun, Terchoun, Mauron und Lehmann.
Wir diskutieren, ob der Penalty nun einer war oder nicht, freuen uns dann aber gemeinsam lautstark über den versenkten Penalty zum 1:0 durch Ramona Bachmann. In der Pause gibt es Gipfeli, Wassermelone und Smalltalk. Die Spielerin, die den Penalty herausgeholt hat, ist in unserer Gruppe hoch im Kurs. Coumba Sow ist eine Zürcherin und eine Schwarze Frau. Damit bietet sie für einige von uns ein besonders grosses Identifikationspotenzial. Mit Rachel Rinast als Co-Kommentatorin hat SRF nun endlich auch eine Frauenstimme, die uns durchs Spiel begleitet. Zwischendurch wird der Fernseh-Kommentar jedoch durch die lärmende Kaffeemaschine übertönt oder durch unseren Jubel über das zweite Tor für die Schweiz durch Seraina Piubel. Spätestens jetzt sind alle wach und gut gelaunt. Zwei Mädchen müssen bereits vor Spielende gehen, weil sie an einem Fussball-Camp teilnehmen, zwei Frauen müssen zur Arbeit. Nach Spielende räumen wir gemeinsam auf und besprechen, wo wir die nächste Partie der Schweiz schauen werden.
In den nächsten Tagen schaue ich mir einige Spiele zuhause an. Ich klicke mich jeweils durch Fernsehsender aus der Schweiz, Deutschland und England, um eine Frauenstimme zu finden, die kommentiert oder als Expertin im Studio Auskunft gibt. Meistens werde ich zu meiner grossen Freude auch fündig. ZDF setzt wie bereits während der Männer-EM auf gemischte Expert*innen-Teams. Bei englischen Sendern sitzen ehemalige Nationalspielerinnen, Schwarze Frauen wie Eniola Aluko oder die queere Anita Asante, als Expertinnen im Studio. Bei der Partie zwischen Frankreich und Jamaika stehen fast ausschliesslich Schwarze Frauen auf dem Feld. In vielen Teams gibt es Spielerinnen und Trainerinnen, die sich als Vorbilder sehen und sich für Menschenrechte einsetzen. Auch die sexuelle Orientierung ist im Gegensatz zum Männerfussball kein Tabuthema.
Doch in den sozialen Medien ist die Begeisterung noch nicht so gross, wie zuhause bei uns Zuschauer*innen. Ein Werbevideo aus Frankreich und eine Studie aus Zürich sorgen für Diskussionen. Die Köpfe der französischen Nationalspieler wurden für ein Highlight-Video auf die Körper der französischen Nationalspielerinnen gesetzt und den wenigstens Zuschauer*innen fällt es bis zur Auflösung der Manipulation auf. Eine Studie der Uni Zürich kommt zum Ergebnis, dass männliche Studienteilnehmer Torszenen im Frauenfussball als gleich hochwertig wie diejenigen im Männerfussball einschätzen, wenn sie das Geschlecht der Personen in einem Video nicht erkennen können. Doch anstatt nun zu hinterfragen, ob Männer- oder Frauenfussball “besser” ist, zeigen uns diese Beispiele auf, dass Frauenfussball auf alle Fälle genau so viel Entertainment und Spektakel bietet: neben guter Technik und Taktik gibt es knappe Siege und Niederlagen, Tipp-Wettbewerbe, spannende Spielanalysen oder die neusten Geschichten über die Lieblingsspielerinnen – und alles erst noch gratis.
So sehr der Fussball auch eine Geldmaschine ist und dafür auf höchster Ebene manchmal über Menschenrechte hinweggesehen wird, so ist er als Sport dennoch zugänglich und bietet inzwischen vielen Menschen Identifikationspotenzial. Die Kinder sind schon lange begeistert vom Frauenfussball und bei Spielen zuvorderst anzutreffen. Doch auch immer mehr Frauen und Männer in meinem Umfeld beginnen sich dafür zu interessieren. Das ist super, denn was der Frauenfussball braucht, sind bessere Strukturen und Löhne, aber vor allem auch mehr Fans.
Wie viele andere habe auch ich als Kind den Zugang zum Fussball über eine WM am Fernsehen gefunden. Leider blieben meine Stars für immer in weiter Ferne. In der Schweiz haben wir heute glücklicherweise eine andere Situation. Man kann auch in der nächsten Saison Spielerinnen des Schweizer Nationalteams in der Women’s Super League anfeuern und nach dem Spiel ein Autogramm oder ein Foto ergattern. Der Frauenfussball wird in den nächsten zwei Jahren stetig wachsen und wir werden 2025 ein riesiges Fest erleben bei der Frauen-EM in unserem Land. Jetzt ist also der beste Zeitpunkt, um Frauenfussball-Fan zu werden.
Die WM läuft noch bis zum 20.August – es ist also noch nicht zu spät, um auf den Zug aufzuspringen.
Hier könnt ihr Laura auf ihren beiden Instagram-Accounts folgen: @laurarivask und @football_has_no_gender.
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